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Methoden
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Themenzentrierte Interaktion (TZI nach Ruth Cohn)
Ich,
Wir, Es und der Globe - ein Balanceakt
Ruth
Cohn, die Begründerin der TZI, formuliert zusammenfassend den Ansatz
und die Aufgabe der TZI folgendermaßen: "Ich bin wichtig und wir sind
wichtig und die Sache um die es geht ist wichtig und das Umfeld, die Welt,
das Universum sind wichtig. Und diese vier Faktoren als gleichgewichtig
zu behandeln in jeder Gruppe und in einem selber, das ist die Aufgabe."
Weg
von der Couch - hinein in die Gruppe
Ruth
Cohn (1912 - 2010) in Berlin als Jüdin geboren, studierte Literatur und Psychologie.1933
floh sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die Schweiz, wo
sie in Zürich ihr Psychologiestudium beendete und acht Jahre später in
die USA, wo sie ihre psychoanalytische Ausbildung abschloss und dann als
Psychoanalytikerin arbeitete. Gleichzeitig war es für sie recht
unbefriedigend nur einige wenige PatientInnen pro Jahr behandeln zu können.
Sie entdeckte die Gruppentherapie, die sie zum Experimentalismus
und erlebniszentrierten Unterricht führte. Die Begegnung mit Fritz und
Laura Perls und ihrer Gestalttherapie vermittelte ihr entscheidende
Impulse zur Humanistischen Psychologie hin.
In ihren
Seminaren entwickelte sie das Prinzip der existentiell teilnehmenden,
strukturierenden und nicht autoritären Gruppenleitung, partizipierende
Leitung genannt. Nach mehreren Jahren erfolgreicher praktischer Erfahrung
in der Arbeit mit Gruppen entschloss sie sich, das System der TZI theoretisch
zu entwickeln, um es auch lern- und lehrbar zu machen. 1966 gründete sie
in New York das Workshop-Institute for Living-Learning (WILL),
ein Institut für Theorie, Praxis und Training der TZI.
Seit 2002 das Ruth Cohn-Institute for TCI-international.
TZI
- weder einfach noch kompliziert
Themenzentrierte
Interaktion klingt komplizierter als "es" ist. Interaktion bedeutet
alles, was zwischen zwei oder mehreren Menschen passiert, jede Form der
Kommunikation. Und dieses Handeln / Geschehen ist themenzentriert,
d.h. auf ein ganz bestimmtes Thema bezogen. Anders ausgedrückt: die TZI
stellt Aufgaben, Themen ins Zentrum der Interaktion
einer Gruppe, um sie im gemeinsamen Austausch aller Beteiligten zu bearbeiten.
TZI als Arbeits- und Lernweg fördert Wissens- und Kompetenzerweiterung
am Faden der Betroffenheit entlang. Der pädagogisch-therapeutischer
Ansatz der TZI verbindet emotionale persönliche und zwischenmenschliche
Belange mit den sachlichen Anforderungen des (beruflichen und privaten)
Alltags in einem Prozess des gemeinsamen und individuellen Lernens.
"Es hatte
mich immer wieder in Erstaunen versetzt, in welchem Ausmaß Mitglieder
therapeutischer Gruppen mit Hilfe dieser Erfahrungsweise ein ungeheuer
anregendes und nutzbringendes Lernen erlebten, während die meisten Studenten
in Hörsälen das Studieren als trocken und nicht bereichernd quasi erduldeten.
So erfuhr ich den Unterschied zwischen ‚totem' und ‚lebendigen' Lernen."
(p.111; dieses und alle folgenden Zitate: Ruth Cohn, Von der Psychoanalyse
zur Themenzentrierten Interaktion, Klett-Cotta, Stuttgard 1986)
Recht
einfach kann man sich das System der TZI als ein gleichseitiges Dreieck
(mit den Eckpunkten ICH, WIR, ES) in einer Kugel (GLOBE) vorstellen.
Jede Situation - beruflich, privat, zu zweit oder in Gruppen / Teams -
wird durch 4 Faktoren bestimmt und beeinflusst:
-
das ICH
= die einzelne Person / das einzelne Gruppenmitglied, mit ihren/seinen
individuellen Erfahrungen, Bedürfnissen, Gefühlen, Empfindungen, Besonderheiten,
Anschauungen, Stärken und Schwächen...
-
das WIR
= das Team, die Gruppe, die Gemeinschaft, die ein Netz von Beziehungen
und Interaktionen unterhält, mit Sympathien und Antipathien, mit Zuwendung
oder Ablehnung....
-
das ES
= die Sache um die es geht, das gemeinsame Anliegen, die gemeinsame
Arbeit, die ansteht;
-
der GLOBE
= das nahe oder ferne Umfeld der Gruppe / des Geschehens, die äußere
Realität mit ihren sozialen, politischen, kulturellen, religiösen
und historischen Gegebenheiten.
Dabei
geht es im besonderen - und dies ist die Stärke des Konzepts - um die
Beziehung und Balance der 4 Faktoren zueinander, um deren gegenseitige
Beeinflussung und Gleichgewichtigkeit: individuelle (ICH), zwischenmenschliche
(WIR), sachliche (ES) und umfeldbezogene (GLOBE) Gegebenheiten werden
gleichermaßen berücksichtigt (vgl. das Eingangszitat von R. Cohn).
TZI
gründet auf drei Axiomen, die die schon erwähnte humanistische Grundhaltung
widerspiegeln. (Axiome sind nicht weiter begründbare Grund-Sätze.)
-
Der Mensch ist
eine psycho-biologische Einheit. Er ist auch Teil des Universums.
Er ist deshalb autonom und interdependent. Seine Autonomie (Eigenständigkeit)
wächst mit dem Bewusstsein der Interdependenz (Allverbundenheit).
-
Ehrfurcht gebührt
allem Lebendigen und seinem Wachstum. Respekt vor dem Wachstum bedingt
bewertende Entscheidungen. Das Humane ist wertvoll; Inhumanes ist
wertebedrohend.
-
Freie Entscheidung
geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen. Erweiterung
dieser Grenzen ist möglich. Unser Maß an Freiheit ist, wenn wir gesund,
intelligent, materiell gesichert und geistig gereift sind, größer,
als wenn wir krank, beschränkt oder arm sind und unter Gewalt und
mangelnder Reife leiden. Bewusstsein unserer universellen Interdependenz
ist die Grundlage humaner Verantwortung. (p. 120)
TZI stellt
zwei Forderungen (Postulate) an die Menschen. Sie können als Handlungsanleitung
zur Verwirklichung der Axiome gesehen werden.
Das Chairperson-Postulat: "Sei dein eigener Chairman"
heißt es ursprünglich von R. Cohn formuliert und bedeutet, sich mit Hilfe
all seiner Sinne und Gefühle, seiner Kompetenzen und Bedürfnisse selbst
zu leiten, selbstbewusst und eigenverantwortlich zu entscheiden und zu
handeln. Die je eigene innere Realität (Blick nach innen) ist mit der
äußeren Realität, den Anforderungen (Blick nach außen) zu überprüfen,
um zu einer angemessenen Entscheidung zu kommen. Jeder trägt die volle
Verantwortung für sich selbst, für sein Tun oder Unterlassen.
Das Störungs-Postulat: "Störungen haben Vorrang"
fordert die vorrangige Beachtung von Hindernissen in jedem Lern-, Arbeits-
und Gruppenprozess. Dieses zweite Postulat hängt inhaltlich eng mit dem
ersten zusammen, denn auch hier geht es um innere und äußere Realitäten.
Werden Hindernisse (Schmerz, Angst, Ablenkung, Widerstand, Antipathie,
Verstörtheiten, Betroffenheiten, nicht zugegebene Inkompetenzen u.dgl.
m.) nicht beachtet und unter den Teppich gekehrt, so ist keine (Weiter-)Entwicklung
möglich. Sie können den einzelnen und ganze Gruppen, von Schulklassen
bis zu Regierungen lähmen. Werden sie beachtet und auch als wichtige Signale
im Prozess anerkannt ("Krise als Chance"), dann findet nach ihrer Bearbeitung
/ Lösung meist mehr Wachstum statt als zuvor.
"Die interaktionelle Diskussion bedarf eines Gruppenleiters,
der zugleich Partizipant ist und Verantwortung (...für die dynamische
Balance) übernimmt; er leitet als Person, als Ich, unter Einsatz seiner
Gedanken und Gefühle, die er wie jeder andere Teilnehmer hat - das heißt
als sein eigener Chairman. Er ist zugleich auch Chairman der Gruppe, der
die Funktion der Gleichgewichtsführung übernimmt." (p. 123)
Die Postulate der TZI werden durch Hilfsregeln unterstützt:
-
Sage "Ich"
(nicht "man" oder "wir"); nur Ich-Aussagen tragen die volle Eigenverantwortung.
-
Wenn du eine
Frage stellst, sage dazu, was deine Frage für dich selbst bedeutet.
Sage dich selbst aus und vermeide das Interview.
-
Sei selektiv-authentisch
in deiner Kommunikation; d.h. wähle bewusst aus, was und wieviel du
sagen willst, doch das, was du mitteilst soll echt und ehrlich sein.
-
Vermeide Interpretationen
und Verallgemeinerungen; sprich stattdessen deine persönlichen
Reaktionen aus.
-
Wenn du etwas
über eine andere Person aussagen willst (Feedback), sage dazu, was
deine Aussage für dich bedeutet (vgl. "Frageregel").
-
Seitengespräche
haben Vorrang. Sie sind meist wichtig, sonst würden sie nicht
vorkommen.
-
Bitte nur
einer zur gleichen Zeit. Wenn mehr als eine Person gleichzeitig
sprechen will, verständigt euch in Stichworten, worüber ihr sprechen
wollt. (p.124ff)
Die Prinzipien der TZI sind inzwischen zum Standard moderner
Gruppenarbeit geworden.
Im Dachverband des Ruth Cohn Institute for TCI-INTERNATIONAL (vormals WILL: Workshop-Institute
for Living-Learning) sind seit 1986
alle regionalen Organisationen zusammengeschlossen.
Das Ruth Cohn Institute for TCI-INTERNATIONAL ist zum einen eine internationale Organisation, in der sich Menschen
zusammengefunden haben, die sich am Modell der Themenzentrierten Interaktion
als einer Form lebendigen Lernens und Arbeitens - in einer Vielfalt von
Berufen - orientieren und sich darin über regionale und nationale Grenzen
hinweg verbunden fühlen.
Darüber hinaus sieht die Organisation ihre Aufgabe darin,
diese Form des Lernens - Lehrens - Arbeitens weiter zu verbreiten und
weiter zu entwickeln. Das Kursangebot richtet sich
insgesamt an AusbildungskandidatInnen und an allgemein Interessierte,
sofern es sich um die als Basiskurse ausgewiesenen Seminare handelt. Die
Fachzeitschrift Themenzentrierte Interaktion erscheint halbjährlich
im Grünewald Verlag. Derzeit gibt es WILL-Organisationen in Belgien, Deutschland,
Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Schweiz, Ungarn und
Indien.
Adressen:
Ruth Cohn Institut für TZI - Österreich
Mag. Irene Kernthaler-Moser
c/o Bürogemeinschaft Diesterweg
1140 Wien, Diesterweggasse 8/3
E-Mail: vorsitz@rci.at
Web: www.rci.at
Ruth Cohn Institute for TCI – international
Colmarerstr. 13
CH - 4055 Basel
Kontakt:
Geschäftsstelle
Oranienstraße 6
D – 10997 Berlin
Fon: +49 (0)30 616927-11
E-Mail: office@ruth-cohn-institute.org
Web: www.ruth-cohn-institute.com
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